Perspektivenlosigkeit, schwierige Familienverhältnisse oder Probleme in der Schule und im Lehrberuf einerseits, das Finden von Verständnis und Anerkennung in einer Straßenszene andererseits: Das können Gründe dafür sein, dass Jugendliche ihr Elternhausverlassen und sich einem Leben auf der Straße zuwenden. In ihrer Dissertation zeichnet die Soziologin Dr. Karina Fernandez vom Institut für Wirtschaftspädagogik der Karl-Franzens-Universität Graz Verlaufsmuster von Straßenkarrieren Jugendlicher nach. Eine zentrale Forschungsfrage dabei war, welche Faktoren für die Entscheidung ein Leben auf der Straße führen zu wollen, ausschlaggebend sind und wie der Ausstieg gelingt. Betreut wurde die Nachwuchswissenschafterin von Ao.Univ.-Prof.i.R. Dr. Peter Gasser-Steiner vom Institut für Soziologie.
Im Rahmen ihrer intensiven Feldforschungsphase begleitete Fernandez eine Gruppe von Jugendlichen im Alter von 14 bis 28 über einen längeren Zeitraum hinweg. „Über eine Kontaktperson konnte ich Zugang zur Szene gewinnen und nahm auch an ihren Treffen teil“, beschreibt die Soziologin ihre Vorgehensweise. Aus Interviews, die sie mit Szenemitgliedern und mit SozialarbeiterInnen führte, konnte sie dann wertvolle Details über die einzelnen Karrieren erfahren. Daraus entwickelte die Jungforscherin ein mehrschichtiges Phasenmodell: „Das so genannte Hineinrutschen geschieht oftmals schleichend über die Schule oder über das Wohnumfeld. Die Jugendlichen finden die Szene anfangs faszinierend“, erklärt sie. Sind sie einmal drinnen, passen sie sich in der Verfestigungsphase an die Verhältnisse der Gruppe an: gemeinsamer Alkoholkonsum, das Auftreten als Gruppe in der Öffentlichkeit, Nicht-zuhause-Übernachten sowie Risikoverhaltensweisen gehören dazu. Später versuchen die meisten Jugendlichen sich wieder von der Szene abzugrenzen, wobei unterschiedliche Beweggründe eine Rolle spielen: viele wünschen sich Stabilität durch Arbeit und Familie, andere erfahren das Szeneleben nach einiger Zeit als langweilig, einige fürchten rechtliche Konsequenzen wie Gefängnisaufenthalte oder hohe finanzielle Strafen. „Es gibt Jugendliche, die nur kurz in die Szene hineinschnuppern und dann auch unkompliziert wieder aussteigen“, weiß Fernandez und betont: „Je länger sie dabei sind, je weniger Kontakte sie außerhalb der Szene haben, desto schwerer gestaltet sich der Absprung zurück in ein gesellschaftlich akzeptiertes Leben.“
Unterstützung von außen durch gezielte Sozialarbeit sieht die Soziologin als notwendige und funktionierende Maßnahme: „Das Angebot für Jugendliche ist gut, hier wird tolle Arbeit geleistet. Allerdings ist die Ausstiegsmotivation in dieser Lebensphase noch gering. Diese entwickelt sich verstärkt im jungen Erwachsenenalter, hier sollte das Angebot erweitert werden.“
Rückfragen:
Dr. Karina Fernandez
Institut für Wirtschaftspädagogik
Karl-Franzens-Universität Graz
Tel.: +43 316 380 3536
E-Mail: karina.fernandez(at)uni-graz.at