Werkstattgespräch zur Soziologie der Zwischenkriegszeit
Ende September 1926 fand in Wien ein Soziologiekongress zum Thema „Das Wesen der Demokratie“ statt. Es sollte eine Bilanz der bisherigen Entwicklungen der Demokratie in Österreich und Deutschland gezogen werden. Sowohl die Hauptvorträge von Ferdinand Tönnies, dem damaligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, und von Hans Kelsen, dem maßgeblichen Mitgestalter der österreichischen Bundesverfassung, als auch die Diskussionen der Vorträge waren skeptisch bis pessimistisch gestimmt. Viele sprachen von einer Krise der Demokratie. Manchen war das ganz recht, weil sie die Demokratie als Regierungsform schnell hinter sich lassen wollten. Andere wiederum befürchteten eine Aushöhlung der Demokratie mit demokratischen Mitteln und sahen sie als den Nährboden für den erstarkenden Faschismus oder den Bolschewismus. Uneinig war man sich zudem darüber, ob die Demokratie eher mit der Idee der politischen Freiheit oder der Idee der sozialen Gleichheit einhergehen solle. Es zeigt sich abermals: In der Zwischenkriegszeit spitzten sich Probleme der Moderne zu und wurden Weichen gestellt für Problemwahrnehmungen und Themen, die bis heute zentral sind und uns aktuell erneut alle angehen. Reinhard Laube und Jens Hacke, Autoren von maßgeblichen Abhandlungen zu Ernst Mannheim bzw. Hans Kelsen, referieren und diskutieren über diese beiden liberalen Intellektuellen, die sich in der Zwischenkriegszeit auf ganz unterschiedliche Weise mit dem „Wesen und Wert der Demokratie“ – so der Titel des 1920 erstmals erschienenen, mittlerweile zum „Klassiker“ der politischen Theorie gewordenen Textes von Kelsen – beschäftigt haben.